Beratungspraxis

Beispiele:

Ist die "reformierte Kirche" eine Sekte des Judentums?

Anfrage:

Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ist die reformierte Kirche oder katholische Kirche nicht eine Sekte, die es erst seit relativ kurzer Zeit gibt, und die nicht das "wahre Erbe von Jesus" verfolgt, da dieser in der Bibel an keiner Stelle jemals gesagt hatte, man dürfe das Sabbat-Gebot brechen? 
Doch was machen Sie und die Anhänger der reformierten/katholischen "Sekte"? Sie feiern den Sonntag, obwohl Jesus dies doch im Alten und Neuen Testament verboten hatte!
Und woher nehmen Sie sich überhaupt die Vermessenheit, sich selber als "Sektenberatung" aufzuführen, obwohl sie anscheinend selber eine Sekte des wahren "Judentums" sind? Gibt es ein Recht, andere als "Sekten" zu bezeichnen, obwohl Sie nicht mal selber herleiten können, dass Sie selber keine Sekte sind?
Ich würde mich über Ihre Antwort freuen, und erfahren, ob Ihnen noch eine Ausrede zu meiner Anfrage  einfällt, oder ob Sie das Sabbat-Problem andersweitig lösen können (!). 
Das Sabbat-Sonntag-Problem hat mir die Augen geöffnet, weil es aufzeigt, dass etwas in der Geschichtsschreibung des Christentums nicht stimmen kann, und die Begründung für die Sonntags- statt Samstagsfeier auf jeden Fall mit normalen Erklärungen in die Sackgasse führt. 

Seit wann gibt es das moderne Christentum überhaupt? 
Ist es erst etwa 300 Jahre alt, oder gibt es Beweise, die eine 2000-jährige Geschichtsschreibung des Christentums rechtfertigen würden? Oder ist das Christentum aus dem Judentum nach einer Religionsspaltung anstatt einer Reformation entstanden?

Ich beschäftige mich seit ein paar Jahren mit Geschichtskritik, und wollte Sie auf folgendes Büchlein aufmerksam machen: 
"22 Gründe für die Sonntagsfeier ? H. Mayer". http://www.sabbat.at/p_literatur.shtml

Nach diesem Buch gibt es keinen Grund, weshalb wir Christen oder Europäer die Heiligung des Sabbats hätten aussetzen müssen. Es gibt aber nicht mal einen biblischen oder historischen Grund, weshalb wir den Sonntag feiern. 
Das Büchlein deckt dies schonungslos auf. 
Wenn aber die Geschichtsschreibung mit Julius Cäsar und überhaupt die römische Geschichte nur erfunden ist  - siehe Buch "History: Science or fiction, Volume 2,  A. Fomenko" - Wann hat sich dann die Christenheit vom Judentum abgespalten, wenn es im 4. Jahrhundert also noch gar keine katholische Kirche gab, und die ganze römische Geschichte nicht verifizierbar ist ?
Ist es nicht denkbar, dass die Heiligung des Sonntags erst bei einer Kalenderreform vor ein paar Hundert Jahren stattfand?

Oder haben Sie einen Grund, warum sich die Reformierte Kirche (auch heute noch) immer noch der Sonntagsheiligung beugen soll, wenn doch in der Bibel ausdrücklich steht, dass nur der Sabbat (Samstag) heilig gehalten werden darf, und die reformierte Kirche angeblich seit Martin Luther nicht mehr der katholischen Kirche unterstand?

Hier ist eine Inkonsequenz in allen christlichen Kirchen, ausser bei den Siebenten-Tages-Adventisten und bei den Amischen in Amerika festzustellen, die aus meiner Sicht nicht erklärt werden kann. 
Ich selber gehöre keiner dieser Freikirchen an, würde mich aber interessieren, wie Sie diese Widersprüche auflösen möchten, da diese Widersprüche doch die Daseinsberechtigung und überlieferten Existenzbehauptungen aller christlichen Kirchen sehr in Frage stellen....

 

Sehr geehrter …

Sicherlich kann man jede Kirche als „Sekte“ bezeichnen, denn der Begriff bezeichnet ja eigentlich nur eine sich von einem grösseren Ganzen trennende Gruppierung, die einen eigenständigen Weg einschlägt. Und wenn diese Gruppe dann noch sagt, dass sie es nun besser macht, als die bisherige, dann sagt natürlich die bisherige Gruppierung mit einem schimpfenden Unterton, die andere sei eine Sekte.

Der Sektenbegriff ist ein Kampfbegriff und in dem Sinne nicht hilfreich, weil ja auch die eigene Position eine gewichtige Rolle spielt. Insofern ist ein Merkmal, welches eine Kirche von einer sektiererischen Gruppierung unterscheidet, wie gelassen man mit solchen plakativen Kritiken umgehen kann oder nicht. Wesentliches Merkmal einer glaubwürdigen Gruppierung ist, dass sie es versteht auch selbstkritisch die eigene Geschichte und Beschränktheit zu reflektieren – denn wir Menschen und unser Gemeinschaften sind nie idealtypisch und „allein wahre“ Vertreter einer Botschaft.

Allerdings müssen Sie die Geschichte des Christentums entsprechend auch etwas differenzierter studieren, als dies aus Ihren Zeilen hervorgeht. Es gibt genügend Geschichtsbücher, welche die christliche Entwicklung und Geschichte durch die Jahrhunderte erforschen und darstellen. Insofern zeugt die Frage nach dem Alter des Christentums von mangelnder Beschäftigung mit den entsprechenden Quellen. Dass die christliche Tradition vor 2000 Jahren angefangen hat ist historisch belegt und nicht umstritten. Dass sich die Ausprägung der christlichen Kirchen dann im Verlaufe der Zeit je nach Kultur und gesellschaftlicher Situation unterschiedlich ergeben und entwickelt hat, ist ebenso unbestritten. Die Abspaltung vom Judentum ist erwiesenermassen nach der Entstehung der ersten Christengemeinden im Verlaufe des 1. Jh. entstanden, da es ja um die Frage ging, ob gläubige Christen nun noch zuerst Juden (d.h. beschnitten werden) müssten oder nicht. Diese Auseinandersetzung können Sie in der Bibel im NT nachlesen.

„Sektenberatung“ hat zum Ziel, Menschen welche mit irgend einer religiösen oder weltanschaulichen Gruppierung Probleme bekommen, zu beraten und zu begleiten. In diesem Sinne ist es durchaus möglich, dass Menschen auch unsere Beratung und Hilfe aufsuchen, die in einer unserer Kirchen leben, welche die ökumenische Sektenberatung tragen. Es ist ja gerade ein wesentliches Element einer glaubwürdigen Beratung, dass man nicht einfach die Menschen wieder an ein System anpassen oder sie einbinden will, sondern, dass man sie ermutigt, den eigenen Weg zu gehen, eigenständig zu handeln und selber die Verantwortung für seinen Glauben und sein Handeln zu tragen.

Und nun noch zur Interpretation des Sabbat-Gebots. Natürlich ist in den Schriften des Alten Testaments der Sabbat als der siebente Tag der Gott heilige Tag. Nun hat die Lehre Jesu aber die Menschen eingeladen, dass sie die religiösen Gesetze nicht nur nach den äusseren Bedingungen verstehen und einhalten sollten, sondern sie auch wirklich durch die innere und eigene Haltung zu verantworten hätten. Da nun in der frühen christlichen Geschichte der Ausschluss aus dem Judentum kam, die Christen auch verfolgt wurden und so eine eigene Identität aufbauen mussten, ist es natürlich sehr gut verstehbar, dass schon recht früh für die Christen auch in diesem Punkt nicht mehr das jüdische Gesetz galt, sondern eben der Sonntag – der Auferstehungstag Jesu – als der entsprechende Tag des Gotteswirkens und der Dankbarkeit Gott gegenüber zum Feiertag wurde. Natürlich ist dieser Vorgang in den biblischen Schriften noch nicht erwähnt, da es doch einige Zeit brauchte, bis die Entwicklung so weit war. Nun kann man natürlich wieder legalistisch formulieren, davon stehe nichts in der Bibel, dann vertritt man aber einen Fundamentalismus, den man mit vielen andern Gegenfragen und Argumenten dann auch arg in Bedrängung bringen könnte. Ich denke bei diesem Denken ist die Sackgasse viel eher programmiert, als bei einem fundiert geschichtlichen Denken, das die Entwicklungen in ihrer historischen Entstehung zu verstehen versucht.

Ich wünsche Ihnen für Ihre weitere Beschäftigung mit den religiösen Fragen viel Freude und Offenheit für die Vielfalt der Weisheiten, die durch die Glaubensbotschaften in unser Leben gekommen sind.

Mit freundlichem Gruss
Pfr. Martin Scheidegger



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